Samstag, 6. Oktober 2007

Pura Vida? aber nicht so...

"Pura Vida" bedeutet wörtlich "pures Leben", aber wie das oft mit wörtlichen Übersetzungen ist, sind die manchmal ziemlich irreführend. "Pura Vida" ist der Leitspruch Costa Ricas, der die Lebensfreude der "Ticos" zum Ausdruck bringen soll. Man sagt "Pura Vida" zur Begrüßung und zur Verabschiedung, oder einfach nur um Begeisterung auszudrücken. Und bis heute schien hier in Costa Rica auch wirklich alles "Pura Vida" zu sein. Wie gesagt, bis heute....

Denn was ich heute zu sehen bekam verschlug mir (fast) die Sprache. Wie jeden Samstag war ich auch heute bei den Kindern meines Projekts in San José. Der Räumlickeiten in denen die Treffen mit den Kindern stattfinden, liegen in einem etwas ärmeren und gefährlicheren Teil des Stadtzentrums. Tatsächlich bin ich schon einige Male von meinen Arbeitskollegen darauf hingewiesen worden, vorsichtig zu sein und auf meine Sachen aufzupassen. Bisher gab es aber (zum Glück) noch keine Probleme und auch sonst habe ich von Diebstählen und anderen Verbrechen nichts mitbekommen.

Aber als wir heute mit dem Unterricht anfangen wollten, wurden wir von lautem Gechrei und Rufen unterbrochen. Ein Blick aus der Tür genügte und es war klar, woher der Lärm kam. Vier Straßenverkäuferinnen liefen in einem Tempo, das man ihnen bei ihrem Alter und Körperbau niemals zugetraut hätte, als ob es um ihr Leben ginge. Dann, gerade als ich fragen wollte, wovor sie wegrannten, sah ich den Grund. Zwei Polizeiautos fuhren hinter ihnen her, ein anderes versuchte ihnen den Fluchtweg abzuschneiden. Eine vierte Frau, die anscheinend zu langsam war oder zu spät gemerkt hatte, dass die Polizei kam, wurde von mehreren Polizisten ergriffen. Natürlich setzte sich die Frau zur Wehr und ihr etwa 16-jähriger Sohn versuchte ihr zu helfen; ohne Erfolg. Auch er wurde übermannt, ihm wurden Handschellen angelegt und er wurde in eines der Polizeiautos gesetzt.

Sofort realisiert ich, was dort vor unseren Augen geschah und holte meine Kamera. Ich war dabei das Geschehnis zu dokumentieren, als einigen Polizisten auffiehl, dass ich filmte. Daraufhin drehte ich mich unauffällig weg und stellte mich auf der anderen Seite wieder an. Was ich erst jetzt mitbekam war, dass die Menschen, die um mich herum standen, mich nach vorne ließen, damit ich die Szenen besser einfangen konnte. Einige kommentierten die Geschehnisse und andere meinten ich solle das "Material an Canal 6" schicken; "wie ein minderjähriger Junge festgenommen und eine Frau mit übertriebenen Mitteln überwältigt wird".



Während ich nun also in der "ersten Reihe" stand und dabei war zu filmen bewegten sich zwei Polizisten in meine Richtung und sprachen mich auf Spanisch an, was ich da machte und ob ich etwa Journalist sei. Als sie mir dir Kamera wegnehmen wollten, antwortete ich auf Englisch, dass ich nur ein Tourist sei und ihnen die Kamera ganz bestimmt nicht geben würde. Aber sie wollten mir das nicht glauben und verfolgten mich zu unseren Räumlichkeiten, um mich noch einmal auf meine Kamera anzusprechen. Ich antwortete ihnen nochmals, dass ich kein Spanisch spräche und ihnen meine Kamera nicht geben würde. Damit sie mir wenigstens glaubten, dass ich kein Costa Ricaner war, zeigte ich ihnen meinen Führerschein und meinen Internationalen Studentenausweis. Einer der Polizisten fing gerade an meine Daten aufzuschreiben, als er nach draußen gerufen wurden. Er ging zu seinen Kollegen, sodass ich ihm hinterherlaufen musste, um ihm schließlich meine Ausweise wieder abzunehmen.

Letztendlich verließen die Polizisten die Straße genauso schnell und laut wie sie gekommen waren, doch diesmal zusammen mit der Straßenverkäuferin und ihrem Sohn.

Natürlich kann ich die Position der Polizisten nachvollziehen, die sich gezwungen sehen, das Gesetz durchzusetzen. Dazu gehört es nunmal gegen Straßenverkäufer und andere Arbeiten des informellen Sektors vorzugehen, weil diese als Schwarzarbeit gelten. Ob es nun richtig ist, Menschen, die wenigstens versuchen ein wenig Geld zu verdienen - anstatt zu stehlen - zu verfolgen und sie zu verhaften ist ein anderes Thema. Wie gesagt gehört das Viertel in dem sich unsere Räumlichkeiten befinden zu den ärmeren und gefährlicheren, aber gegen diese Armut und Kriminalität wird anscheinend nicht soviel getan, wie gegen die Straßenhändler, die einfach nur, Armbänder, Ketten oder leckere Früchte verkaufen wollen...

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